Hammelburg Der erste Polittalk der Europa Union Hammelburg, eine Kombination aus Vortrags- und Diskussionsveranstaltung unter Einbeziehung von Vertretern verschiedener politischer Gruppierungen stieß auf starkes Publikumsinteresse.

Einige Interessenten fanden keinen Platz dürfen sich aber auf die nächste Veranstaltung im Juli freuen. Reinhard Schaupp referierte zum Thema Demokratie in der Europäischen Union. Bezugnehmend auf die aktuellen Untersuchungen zweier Harvard Professoren schilderte Schaupp „Wie Demokratien sterben“. Früher kam es in demokratischen Staaten zu einem gewaltsamen Umsturz. Männer mit Gewehren und Panzern besetzten die Schaltzentralen des Staates, die Rundfunk- und Fernsehanstalten, die gewählten Staatsoberhäupter wurden ermordet oder ins Exil geschickt. So funktionierte das im letzten Jahrhundert in Chile und anderen Staaten Lateinamerikas, in Afrika, in Pakistan, in Griechenland. In den letzten Jahrzehnten erleben wir weltweit einen anderen Weg der Beseitigung von Demokratien. Gewählte demokratische Führer verändern schleichend die Justizorgane, die Gewaltenteilung wird aufgehoben, die Verfassung und Wahlgesetze werden mit einer Parlamentsmehrheit legal geändert, Regierungsgegner und kritische Presseorgane eingeschüchtert oft unter Anklage gestellt und inhaftiert, Rundfunksender regierungsnah besetzt, nationale Feindbilder werden aufgebaut. So agieren die Chavinisten in Venezuela, Putin in Russland, Erdogan in der Türkei.

Im zweiten Teil des Vortrags beschrieb Reinhard Schaupp die Demokratiedefizite in einzelnen europäischen Staaten. Ungarn ist schon sehr weit in die Autokratie abgeglitten. Das Verfassungsgericht wurde verändert, mit Gefolgsleuten Orbans besetzt, die regionalen Medien sind gleichgeschaltet, Staatsfernsehen und Staatsrundfunk werden bereits seit 2011 von der nationalkonservativen Regierung kontrolliert. Eine Aushöhlung der Demokratie und die Beseitigung regierungskritischer Stimmen erleben wir auch in Polen, wo die Regierungspartei PiS mit der katholischen Amtskirche über einen mächtigen Verbündeten verfügt und ebenfalls in autoritärer Weise Veränderungen der Gerichtsorgane vorgenommen hat. Korruption und Kleptokratie herrschen in Rumänien, Malta, der Slowake und Ungarn.

Eine Reform und Umgestaltung der Europäischen Union ist auch wegen des Brexits erforderlich. Reformvorschläge hierzu liegen unter anderem von Jean Claude Junker und Emmanuel Macron auf dem Tisch. Beide stellen den Gedanken einer „ever closer union“, einer immer engeren Union in den Vordergrund ihrer Reformbemühungen. Gleichzeitig ist eine Erweiterung der Europäischen Union um die Westbalkanstaaten geplant. Der Kommissionspräsident hat eine Ausdehnung der Eurozone auf Bulgarien und Rumänien vorgeschlagen. Schaupp stellte die verschiedenen Reformvorschläge angesichts der beschriebenen Demokratiedefizite und des Erstarkens von rechten und linken nationalreaktionären Bewegungen in den verschiedenen europäischen Staaten zur kritischen Diskussion.

Dominik Sitter (Freie Wähler) könnte sich wie auch Fabian Hamak (Grüne) ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten vorstellen. Nach den Ausführungen von Martin Wende (CSU) muss das Thema Wertegemeinschaft sehr viel stärker in den Fokus der Weiterentwicklung der Europäischen Union gerückt werden. Rita Schaupp (SPD) äußerte sich skeptisch zu einer Erweiterung der EU und sprach sich für eine strengere Verwaltungskontrolle der EU Organe aus. Tobias Eichelbrönner (Grüne Jugend) sah erhebliche Demokratiedefizite innerhalb der Europäischen Union.

Zum Abschluss der Veranstaltung nannte Schaupp noch einmal die Gründe die für ein Vereinigtes Europa sprechen. Die europäische Integration hat Frieden auf dem Kontinent gewährleistet, das Versprechen für Wachstum und Wohlstand teilweise eingelöst. Die europäische Verfassung verpflichtet auf eine politische Ordnung der Rechtsstaatlichkeit und des Republikanismus, sollte die Menschen- und Bürgerrechte in den Mitgliedsstaaten schützen. Gleichzeitig bietet Europa eine weltweit einzigartige und erhaltenswerte Vielfalt von Kulturen, Traditionen, Künste, Sprachen und urbane Strukturen. Schließlich könnte ein Vereintes Europa durch eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik einen machtvollen Akteur auf internationaler Ebene darstellen.

In der anschließenden Diskussion erklärten die anwesenden Vertreter der verschiedenen Parteien und Gruppierungen in Stellungnahmen ihre Haltungen:

Dominik Sitter (Freie Wähler): „Wie will man Europa unter einen Hut bringen, wenn Länder beitreten, die weit von einem Standard, wie er in Deutschland üblich ist, entfernt sind?“ Sitter sprach sich dagegen aus, mehr Mitgliedsstaaten „mit Gewalt“ aufzunehmen. „Die jetzt 28 Staaten sind schon gewaltig“, meinte er.

Martin Wende (CSU): „Vor allem die gewachsenen, stabilen Demokratien tun sich schwer, in Europa stabile Verhältnisse zu schaffen“. Wende warb dafür, dass „geschlossene Verträge von allen Mitgliedsstaaten ausnahmslos eingehalten werden müssen, sonst verlieren die Bürger das Vertrauen in die Europäische Union.“ Das gelte auch in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen. „Der Landkreis Bad Kissingen hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als die osteuropäischen Staaten zusammen“. Den Schlüssel für ein starkes Europa sah Wende darin, eine „europäische Wertegemeinschaft zu schaffen“. Was innerhalb der Wirtschafts-Union funktioniert, müsse auch in anderen Bereichen, wie der Finanz-Union möglich sein.

Fabian Hamak (Bündnis 90/Die Grünen): Nach seinen Worten waren Die Grünen schon vor vielen Jahren Pro Europa eingestellt. „Die Entscheidungen in Brüssel sind jedoch oft schwer verständlich“, meinte er. Deutlich bessere Chancen für Europa sah Hamak darin, ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten zu verfolgen. Kritik übte er an der Bayerischen Staatsregierung, weil gerade Ungarn, dass sich mit Ministerpräsident Viktor Orbán in vielen Fragen gegen Europa stellt, als einziges westliches Land hofiert.

Rita Schaupp (SPD) schaute auf das Erreichte. Es sei „Großes, was unsere Väter bisher geleistet haben“. So habe es in den vergangenen Jahrzehnten „viele tolle Errungenschaften gegeben“. Allein schon mit der gemeinsamen Währung, dem Euro. Allerdings habe sich die Europäische Union in Brüssel und Straßburg zu einem aufgeblähten Apparat entwickelt. Aus diesem steht bei einer Reihe von Mitgliedsstaaten das Bedienen aus den Töpfen und die Frage, „wie kann ich noch mehr bekommen?“, im Vordergrund. Der Europäischen Union muss es gelingen „die Bürger bei ihren Entscheidungen mitzunehmen“. An die Adresse der Bundeskanzlerin gerichtet meinte Rita Schaupp, dass sie sich „stärker positionieren muss“, ähnlich, wie es ihr französischer Amtskollege Emanuel Macron. Immerhin ist Merkel die stärkste Politikerin in Europa.