Ein Vortragsabend zum 130. Geburtstag von Jakob Kaiser (geboren 8. Februar 1888 in Hammelburg ; gestorben 7. Mai 1961 in West-Berlin), den der Kreisverband der Europa-Union (EU) initiierte, entpuppte sich als hochinteressante Biografie über einen bedeutenden Hammelburger, der ein Stück deutscher Politikgeschichte schrieb. Was unter Kanzler Helmut Kohl gelang – die Wiedervereinigung Deutschlands – war schon Jahrzehnte zuvor Jakob Kaisers Bestreben.

Familie aus Feuerthal
Als Referenten begrüßte EU-Ehrenvorsitzender Edgar Hirt Kaisers Schwiegersohn, Dr. Winfried Benner, der die Familienhistorie aufleben ließ sowie Dr. Reinhard Schaupp, der in seinem Referat „Wir wollen eine Brücke sein“ das politische Wirken, die Erfolge und das politische Scheitern des großen Saalestädters beleuchtete. Gut 50 Zuhörer erlebten in der Vinothek Ruppert eine eindrucksvolle Schilderung über das Leben eines Mannes, der in der Nachkriegszeit beinahe Bundeskanzler geworden wäre. Benner erwies sich als hervorragender Kenner des „Hammelburger Kaiserreichs“. Es dürfte wohl nur wenigen bekannt sein, dass die Familie aus Feuerthal stammt, heute Stadtteil Hammelburgs. Der 1854 geborene Johann Kaiser ist der Vater von zehn Kindern, zu denen Jakob als Zweitgeborener gehörte.

Verzweigtes Familiennetz
Johann, der mangels Arbeit aus der Heimat nach Amerika auswandern wollte, und dessen Koffer bereits in Hamburg standen, hinderte die Mutter am Vorhaben. Der Besitzer einer Hammelburger Buchbinderei gab ihm eine Anstellung, und der Feuerthaler schaffte es bis zum Meister. Er übernahm den kleinen Betrieb, heiratete Elisabeth Zwecker und begründete die „Kaiser-Dynastie“. Benner wartet anschließend mit Daten der Geschwister Elisabeths auf, die er alle persönlich kennt.
Im weit verzweigten Familiennetz finden sich die verschiedensten Berufe, wobei auch die Politik im „Kaiser-Clan“ auf fruchtbaren Boden fiel. Man denke an Anna Kaiser, die den Zentrumsparteipolitiker Dr. Wilhelm Mayer unterstützte, oder den „Schwarzen Landrat im Roten Schloss“, Bürgermeister und Landrat Adam Kaiser. Reinhard Schaupp widmete sich speziell der politischen Ära von Jakob Kaiser , der – im Widerstand tätig – vom NS-Regime verfolgt wurde. Russische Soldaten befreiten ihn im April 1945 aus seiner Kellerzuflucht in Babelsberg, worauf Kaiser schnell wieder eine politische Tätigkeit aufnahm. Sein Ziel war die Gründung einer überparteilichen Einheits-Gewerkschaft und einer überkonfessionellen, christlichen Partei. Er hatte 1936 in der Widerstandsbewegung schon Kontakt zu Konrad Adenauer aufgenommen und versucht, ihn für die Sache zu gewinnen. Der spätere Bundeskanzler wies ihn jedoch ab. Er hielt nichts von einer Tätigkeit im Osten, sondern wollte die westliche Politik begründen.
Ganz anders Kaiser, für den „das bürgerliche Zeitalter zu Ende ist“. Inzwischen im Vorstand der CDU-Deutschland (CDUD), bekannte er sich „zur sozialistischen Ordnung demokratischer Prägung und christlicher Verantwortung“. Er wollte die Zoneneinteilung überwinden und ein „starkes Gesamtdeutschland“ mit begrenztem Föderalismus der Länder und der Hauptstadt „Groß-Berlin“. Adenauer lehnte das „heidnische Berlin“ ab und wollte ein „starkes, westliches System als Abwehr gegen den Bolschewismus „. Darauf Kaisers Antwort: „Wir haben eine Brücke zu sein zwischen Ost und West, aber wollen unseren eigenen Weg gehen.“
Im März 1947 versuchte der Hammelburger eine „Nationale Präsentation deutscher Parteienvertreter“ zu installieren. Adenauer sagte wegen „einer Grippe“ ab. Mit Kurt Schumacher , der auch aus dem Widerstand kam und zehn Jahre im KZ saß, war Kaiser mit seinen Vorstellungen zwar auf Augenhöhe, doch die Persönlichkeiten fanden nie zueinander.
Aus Platzgründen muss hier ein Zeitsprung in die Mitte der 50er Jahre helfen. Ein wirklicher Verdienst Kaisers, inzwischen Minister für innerdeutsche Fragen im Kabinett Adenauer, war die „kleine Wiedervereinigung „, der Anschluss des Saarlands an die Bundesrepublik. Im Gegensatz zu Adenauer unterstützte Kaiser sowohl finanziell wie politisch die Parteien, die das sogenannte Saarstatut ablehnten. Im Oktober 1955 stimmten 67 Prozent für die Rückkehr des Saarlands in die BRD, das 1957 zehntes Bundesland wurde.
Kaisers ursprüngliches Konzept des Brückengedankens in der Synthese von Sozialismus, Christentum und Freiheit verschwand „am Horizont der Illusionen“, wie es Schumacher formulierte.
Dennoch blieb der Visionär eine emotionale und politisch herausragende Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte, die den Bau der Berliner Mauer nicht mehr erleben musste und die Wiedervereinigung nicht mehr erleben konnte.