Europa hat gewählt. Wenige Wochen nach der Europawahl und vor dem Hintergrund der Verhandlungen um die wichtigsten Posten in der Europäischen Union, zog die Europa Union Hammelburg Bilanz, wagte einen Ausblick und gab Antworten auf die Frage: „Was bringt die Europäische Union den Menschen in der Rhön?“ Über 100 Zuhörer lauschten auf der Saaleinsel den beiden Referenten, Staatsminister a.D. Eberhard Sinner und Dr. Reinhard Schaupp.
Kaum ein hiesiger Politiker kennt die Europäische Union so ausführlich wie der Lohrer Eberhard Sinner. Insgesamt drei Ministerämter hatte der 74-Jährige inne, darunter war er von 2003 bis 2005 Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten. Unter seine Regie fiel auch die Einrichtung der Bayerischen Landesvertretung in Brüssel, um die der Freistaat von vielen europäischen Ländern beneidet wird.
In seinem Vortrag nannte Eberhard Sinner die Europäische Union „eine Friedensunion“. Vor dem Hintergrund, dass am 10. Juli vor 153 Jahren die Schlacht von Bad Kissingen zwischen Bayern und Preußen getobt hat sowie die Kriege von 1870/71, 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945 viele Opfer auch aus der Region gefordert hat, herrscht seitdem Frieden unter den EU-Mitgliedsstaaten.
„Die Rhön stand während des Kalten Krieges mit dem Rücken zur Wand. Das Zonenrandgebiet war abgehängt“, erinnerte Sinner an die Situation vor 1990. Seit der Wiedervereinigung, der nun zentralen Lage innerhalb Deutschlands und mit Förderung durch die EU ging es auch in dieser Region wirtschaftlich bergauf. „Europa beschränkt sich nicht auf Brüssel“, meinte der Referent und nannte hier die zahlreichen Förderprogramme der EU, die er an Beispielen zum Landkreis Rhön-Grabfeld aufzeigte.
„Bis Ablauf der aktuellen Förderperiode (2014 bis 2020) werden rund 120 Millionen Euro nach Rhön-Grabfeld geflossen sein. Die Mittel speisen sich fast ausschließlich aus den großen Fonds. Der Landkreis selbst hat direkten Einblick in die Finanzierung der Lokalen Aktionsgruppe Rhön-Grabfeld, die selbst ein Budget von 1,65 Millionen Euro in der aktuellen Förderperiode verwaltet“, berichtete der ehemalige Europaminister.
Die aktuelle Situation und die Zukunftsperspektiven der Europäischen Institutionen beleuchtete Dr. Reinhard Schaupp in seinem Vortrag. Nach Meinung vieler Zuhörer haben Hinterzimmerdiplomatie, Nationenproporz und Postengeschacher der letzten Wochen der EU nicht gerade genutzt. Schaupp betonte, dass nach dem Lissabonner Vertrag von 2009 der Europäische Rat, bestehend aus den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, das Recht hat mit einer „verstärkten qualifizierten Mehrheit“, bestehend aus 72 Prozent der Ratsmitglieder die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen, Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorzuschlagen. Dabei müssen sie laut Artikel 17, Absatz 7 das Ergebnis der Europawahlen berücksichtigen. Darüber was das bedeutet wurde und wird gestritten.
Aus Sicht Bayerns bedauerte der Referent, dass der Niederbayer Manfred Weber schon bald als möglicher Kommissionspräsident abgeschrieben wurde, überwiegend durch die Intervention von Frankreichs Premier Macron.
„Große Sorgen“, müssen sich die engagierten Europäer nach der jüngsten Wahl durch das Erstarken der Euroskeptiker und der Rechtsnationalisten in einigen Mitgliedsstaaten machen. Kritisch sah Schaupp das Verhalten der Visegrad-Staaten bei der Kandidatensuche, die Frans Timmermanns als Kommissionpräsident verhindert haben, weil er Verfahren gegen rechtsnationale Regierungen wegen Demokratiedefizite eröffnet hatte.
„Schwierig“, sieht Schaupp Prognosen, wie sich die Europäische Union nach dem Brexit weiterentwickeln wird. Er befürchtet, dass nationale Egoismen wieder stärker ausgelebt werden, wenn die „Anti-Brexit-Solidarität als bindende Klammer wegfällt“.
Zu einem weiteren Problem könnte Italien mit seiner weiter steigenden Staatsverschuldung, derzeit rund 2,3 Billionen Euro, der Herausgabe so genannter Mini-Bots und dem „Höhenrausch Salvinis“ werden.
Worauf des angesichts der Hausforderungen des Autoritarismus innerhalb Europas ankommt ist nach seiner Ansicht ein engeres Zusammenwirken der liberalen Mitgliedsstaaten der EU, im Sinne einer „ever closer cooperation.“
„Wenn es eines Tages die Vereinigten Staaten von Europa geben sollte, dann wären es immer noch andere als die USA“, meinte Reinhard Schaupp. „Es wird ein anderer Typus sein, nämlich ein Bund klassischer Nationalstaaten, die bereit sind einige ihrer Hoheitsrechte wie Verteidigungs- und Außenpolitik, vielleicht auch Sozialpolitik, gemeinsam auszuüben“.
Text: H. Hausmann, Fotos: R. Schaupp